Letzte Reise

Die weisse Arche

Interview mit Filmemacher Edwin Beeler

Der Film «Die weisse Arche» des Innerschweizer Filmemachers Edwin Beeler handelt von Sterben und Tod. Der Gedanke ans Lebensende birgt grosse Fragen: Nach dem Sinn des Lebens, nach Spiritualität und Werten. Nun ist die DVD erschienen.

Edwin war sieben, als ein Kollege seines Vaters – ebenfalls Gleisarbeiter bei der Bahn – tödlich verunglücke. Es geschah auf der Gotthardstrecke gleich oberhalb des Hauses in Immensee, in dem Edwin wohnte. «Es lag Schnee. Es gab Blutspuren. Viele Tröpfchen – so kleine Teile.» Etwas älter geworden, lockte eine makabre Mutprobe die Jungen in die Totenkappelle: «Wir betrachteten die Leichen durch die Fensterchen ihrer Särge.»

In seiner Kindheit war der Tod für den Filmemacher Edwin Beeler kein versöhnlicher. Schon gar kein Freund. «In den 60er Jahren wurde uns eine christliche Religion eingeimpft, die durch Tod, Hölle, Paradies und Sünde geprägt war. Das Martyrium stand im Vordergrund, nur selten gab es Liebevolles.» Edwin fürchtete sich vor dem Brutzeln im Fegefeuer, Anlass zur Versündigung gab es reichlich: Ein gestohlener Apfel oder erste, zaghafte Regungen der Erotik.

«Die weisse Arche» ist laut Beeler der Versuch, sich mit dem Thema Spiritualität auseinanderzusetzen. «Mittlerweile liegt mehr als die Hälfte der durchschnittlichen Lebenszeit hinter mir; die Generation meiner Eltern stirbt aus, letzte Fragen drängen sich auf.»

Beeler trägt die Hoffnung, dass der Tod, so gewiss er sei, nur ein Tor zu etwas anderem ist. «Vielleicht ist der Mensch nicht bloss ein biochemisches, hirngesteuertes Maschinenwesen. Der Weg und die Erkenntnis anderer Menschen lassen mich hoffen, dass da noch eine andere Wirklichkeit ist, etwas Geistiges, Transzendentes.»

Video-Transkript

«Man kann vor ihm Angst haben, man kann ihn verdrängen, man kann ihn tabuisieren, man kann ihn aber auch gerne haben. Ich habe aufgrund meiner Filmarbeit eine Frau kennengelernt, die den Tod als Freund erlebt. Dafür hat es jedoch ein Schlüsselerlebnis gebraucht, bis sie so weit gekommen ist.

Mich hat interessiert, wie verschiedene Leute Spiritualität in ihrem eigenen Leben persönlich individuell leben und wie sie mit dem Tod und mit der Gewissheit umgehen, dass sie wie jeder mal sterben müssen.

Bei meiner Grossmutter, die sehr gläubig war, gab es im Estrich einen alten Kasten mit einer Schublade. In dieser Schublade waren ganz viele Totenbilder von Verstorbenen. Ganz viele. Da gab es Leute – Bilder von Leuten, die sind sagen wir – im Jahr 1790 zur Welt gekommen und im 19. Jahrhundert gestorben. Und ich habe das fasziniert angeschaut. Alle diese Geschichten, die dahinterstecken, die haben ihr Leben gelegt, wie ich heute mein Leben lebe. Aber deren Leben ist vorbei – also ist es nur ein Klacks, so ein irdisches Leben.

Und ich glaube, jeder ist im Moment auch alleine gelassen und ich denke, dass es auch Momente der Verzweiflung gibt, die jede und jeder durchmachen muss. Auch jemand, der voller Opium ist, der total gut betreut wird in den letzten Tagen – denke ich – muss ganz alleine diesen Weg auf sich nehmen.

Ich war nicht dort im Moment, als Bruder Fromund gestorben ist, aber am selben Tag. Aber mein Ton-Mann und ich wussten nicht genau, was an diesem Tag passieren würde. Und uns ging es – in Anführungszeichen – nicht nur um Bruder Frohmund, sondern auch darum, wie geht Martin, der Sterbebegleiter, mit dieser Situation um. Wie macht man das, Sterbebegleitung? Und ich denke, es ist auch sehr wichtig, dass man sich zurückhält mit einer Kamera. Dass man nicht aufdringlich ist. Und auch eine gute Position einnimmt. Dass man nicht zu nah ist, aber auch nicht zu distanziert. Dass eine gewisse Nähe vorhanden ist, jedoch keine aufdringliche Nähe. Und ich denke, es ist auch wichtig, dass man auf diese Situation immer eingeht. Und dass man auch ein Gespür dafür hat: darf ich jetzt noch hier sein oder gehen wir jetzt aus dem Zimmer? Martin hat uns nachher gesagt, er habe vergessen, dass wir noch anwesend waren.

Ich glaube, der Tod wurde ihr Freund wegen dem Erlebnis, dass sie gehabt hat. Und für sie ist es faszinierend – wie ich sie verstanden habe – mitzuerleben, welchen Weg die Leute gehen in ihren letzten Wochen und Tagen. Und sie hat auch schon dutzende von Leuten in den Tod begleitet und auf unterschiedliche Art erlebt. Und ich denke, auch gerade auf Grund dessen, was sie selber durchgemacht hat, darf sie das sagen: „Der Tod ist für mich ein Freund geworden“.

Also wofür leben wir? Leben wir, um an einem Arbeitsplatz Produkte herzustellen, die ein Konsument kauft, der es kaufen kann, weil dieser Konsument an seinem Arbeitsplatz mit Herstellung von Produkten Geld verdient. Und diese Produkte werden mit Rohstoffen hergestellt, die wir aus der Erde beziehen. Und da denke ich: „Ja, ich komme um acht gehe um zwölf, komme um eins und gehe um fünf, ich stelle ein Produkt her – oder ich mache meinen Teil dazu – und das mache ich bis zur AHV. Dann kommt bald die Holzkiste: „Tschüss zusammen, das war’s dann.“ Das kann es doch nicht sein, oder? Es muss doch noch andere Dinge hinter dem Dasein stecken.