logo white
fabianbiasio

Interview
«Auf den Tod in der Familie war ich nicht vorbereitet»

von Elena Ibello
30.6.2019

Fabian Biasio, Geschäftsführer von «Letzte Reise» und Multimediajournalist, spricht im Interview über den Online-Bestattungsplaner, über Berufung, Abschied und das Leben.

Wer ist Fabian Biasio?
Im Herzen bin ich Journalist, genauer: Fotoreporter. Seit ich zwölf Jahre alt war, weiss ich, dass ich Fotograf werden will. Mein Antrieb war und ist immer, als Journalist Unrecht darzustellen, mit Bildern zu beweisen. Natürlich weiss ich heute, dass die Frage der Gerechtigkeit nicht so einfach zu beantworten ist, wie ich mir das als Zwölfjähriger vorgestellt habe. Mein Antrieb bleibt trotzdem der gleiche. Geschichten von Menschen haben mich schon immer interessiert, und diese will ich erzählen. Den Weg über das Bild habe ich gewählt, weil ich selbst einfach gerne schaue. Ich finde das eine schöne Ausdrucksform. Ich bin ausserdem jemand, der Arbeit nicht mit Geldverdienen gleichsetzt. Mir ist es wichtig, Projekte umzusetzen, die ich persönlich für wichtig und sinnvoll erachte. Selbstverständlich brauche auch ich Geld zum Leben, für mich und für meine Familie. Aber ich setze Arbeit und Geld dennoch ganz bewusst nicht in einen unmittelbaren Bezug zueinander. Ohne diese Einstellung gäbe es auch «Letzte Reise» nicht.

Warum befasst du dich mit dem Lebensende?
Ich werde bald 44. Vor einigen Hundert Jahren entsprach dies der Lebenserwartung. Heute geht man in meinem Alter davon aus, dass man etwa in der Mitte des Lebens steht, es geht in die zweite Hälfte. Da überlegt man sich durchaus: Wo komme ich her? Wo gehe ich hin? Die eigenen Eltern werden alt und sterben vielleicht. Ich glaube, es ist ganz natürlich, dass man sich in diesem Alter mit dem Sterben und dem Tod befasst. Und ich finde, der Tod ist sehr spannend.

Aber du beschäftigst dich damit ja nicht erst, seit du «in der Mitte des Lebens» stehst …
Stimmt. Das begann schon früh und ich weiss eigentlich nicht, weshalb. Als ich 25 Jahre alt war, machte ich eine Reportage über die Todesstrafe in Texas. Die Geschichte hiess «Tagebuch einer Exekution» und sollte zeigen, wie die Todesstrafe eine zweite Opferfamilie schafft. Davor war ich unter anderem im Krieg als Reporter tätig. Ich war 24 Jahre alt, als ich im Kosovo meinen ersten Toten fotografierte. Er war nur zehn Minuten zuvor erschossen worden. Trotz diesen Erfahrungen mit dem Thema Sterben war ich auf den Tod in meiner eigenen Familie überhaupt nicht vorbereitet. Ich hätte nie gedacht, dass das für mich so einschneidend sein würde. Als mein Vater starb, hatte ich mit seinem Tod durchaus gerechnet, denn bei ihm war schon Monate zuvor eine schwere Krankheit diagnostiziert worden. Aber ich wusste noch nicht, was es bedeutet, wenn ein Familienmitglied stirbt. Bis dahin war ich immer Zuschauer gewesen. Und nun betraf es mich direkt.

Wie ist es denn, wenn ein naher Angehöriger stirbt?
Ich glaube, der Tod ist so individuell wie die Geburt. Das lässt sich nicht verallgemeinern. Ich habe eine Fotoausstellung gemacht nach dem Tod meines Vaters. Sie hiess «So ein schöner Tod?». Tatsächlich habe ich im Zusammenhang mit dem Sterben meines Vaters realisiert, dass der Tod auch schön sein kann. Einfach dadurch, dass die Familie sich um den Vater versammelt hat und wir Gelegenheit hatten, uns von ihm zu verabschieden. Das war eine wunderbare Erfahrung. Dieser Abschied auf Raten war mir viel lieber als ein plötzlicher Tod. Das ist schlimm, wenn jemand plötzlich nicht mehr nach Hause kommt. Oder im Schlaf stirbt wie meine Grossmutter – da dachte ich noch lange: Hätte ich sie noch einmal besuchen sollen? Bei meinem Vater hatte ich dieses Gefühl nie. Es war am Ende einfach gut, als er gehen konnte.

Und nach dem Tod? Plötzlich muss man so viel organisieren …
Was nachher auf die Familien zukommt, all das Administrative, das ist ja geregelt und normiert. Das ist ein Kontrast zum Sterben, den es braucht. Gerade für Menschen, die einen Verlust hinzunehmen haben, ist es sehr erleichternd, einem vorgegebenen Ablauf folgen zu können. Ebenfalls faszinierend ist: Wenn jemand stirbt, dann kommt ganz plötzlich alles zum Erliegen – auch wenn man davor mit 180 Kilometern pro Stunde unterwegs war im Leben. Man sagt alle Termine ab; niemand erwartet, dass man sie in einem solchen Moment wahrnimmt. Das ist doch eigentlich etwas Schönes. Der Tod muss dann innerhalb von zwei Tagen auf dem Amt gemeldet werden. Am besten weiss man schon ungefähr, was für die Bestattung des Angehörigen wichtig sein wird. Und auch wenn sein Tod erst bevorsteht, kann es für viele Menschen ein Bedürfnis sein, sich mit dem auseinanderzusetzen, was da bald kommt.

Wie soll der Online-Bestattungsplaner von «Letzte Reise» dabei helfen? Es gibt doch schon Checklisten bei den Gemeinden.
Die Menschen werden immer mobiler, sie wohnen oft nicht mehr in derselben Gemeinde wie ihre Familien. Am Tag X, wenn beispielsweise ein Elternteil stirbt, müssen sie sich aber trotzdem um alles kümmern. Viel Zeit hat man nicht, also geht man wahrscheinlich im Internet auf die Gemeindewebsite, um herauszufinden, was zu tun ist. Wenn man Glück hat, ist die Gemeinde recht gut organisiert und man findet relativ schnell die nötigen Angaben, manchmal auch Checklisten. Auf manchen Gemeindewebsites findet man über die Suchfunktion jedoch keine brauchbaren Resultate, wenn man nicht genau den richtigen Begriff eingibt. Oder man findet nur ein abfotografiertes, maschinengetipptes Bestattungsreglement von 1986 als Bilddatei. Der Bestattungsplaner von «Letzte Reise» soll künftig in solchen Situationen genaue, korrekte und aktuelle Informationen liefern. Dazu müssen diese fundierten Angaben an einem Ort gesammelt werden. Genau das geschieht in diesen Tagen: Wir haben die Gemeinden dazu aufgerufen, ihre Angaben direkt im Bestattungsplaner einzutragen. So hat der Nutzer oder die Nutzerin dann die Möglichkeit, die Postleitzahl oder Gemeinde einzugeben und eine interaktive Checkliste durchzuarbeiten. Am Ende erhält die Person ein PDF-Dokument, in dem all das steht, was sie für das Trauergespräch auf der Gemeinde wissen muss.

«Wenn jemand stirbt, dann kommt ganz plötzlich alles zum Erliegen – auch wenn man davor mit 180 Kilometern pro Stunde unterwegs war im Leben.»


Nehmen wir also an, meine Mutter sei gestorben. Ich muss das innerhalb von zwei Tagen melden und suche im Internet nach Hilfe. Wieso soll mir der Online-Bestattungsplaner von «Letzte Reise» mehr bringen als eine andere Checkliste?

Das Spezielle am Online-Bestattungsplaner ist, dass die Checkliste interaktiv ist. Wenn jemandem zum Beispiel ein Naturgrab wichtig ist, ein Familienbaum, dann kann er herausfinden, wo die nächstgelegenen Friedhöfe mit einem entsprechenden Angebot sind. Denn möglicherweise gibt es auf dem Dorffriedhof diese Möglichkeit nicht. Aber es gibt vielleicht einen Naturfriedhof in der Nähe, auf dem auch Auswärtige bestattet werden können. All diese Angaben enthält der Bestattungsplaner und sie können spezifisch abgefragt werden. Eine solche Friedhofsdatenbank hat nicht einmal Google. Ein anderes Beispiel: Es wird einfacher, einen Friedhof zu finden, der Kinder bestattet, die während der Schwangerschaft verstorben sind. Es ist heute nicht leicht, solche Friedhöfe zu finden. Auch die Fachstelle für Kindsverlust hat keine vollständige Übersicht über diese Engelskindergräber in der Schweiz.

Heisst das, dass mit diesem Aufruf, den «Letzte Reise» jetzt bei den Bestattungsämtern der Deutschschweiz durchführt, erstmals eine solch umfassende Erhebung gemacht wird?
Ja, das ist so. Es gibt einige Erhebungen, aber nicht so systematisch und umfassend. Zum ersten Mal werden diese Informationen nun zusammengetragen und an einem Ort zugänglich gemacht. Ich lade die Gemeinden ein, mit ihren Angaben dieses Angebot zu ermöglichen. Es ist eigentlich klassischer «User-Generated Content», den die Anwendung bündelt. Das heisst: Alle, denen dieser Bestattungsplaner dienlich sein kann, arbeiten daran mit, dass er überhaupt funktioniert.

Haben die Bestattungsämter tatsächlich etwas von diesem Service? Ihr Aufwand, all die Angaben im Bestattungsplaner zu erfassen, ist ja nicht unerheblich.
Mir ist völlig bewusst, dass das für die Bestattungsämter Arbeit bedeutet und dass das, was die Gemeindemitarbeitenden für «Letzte Reise» zusammentragen, auch einen Wert hat. Im Gegenzug erhalten die Gemeinden ein Informationstool, das sie nutzen können und das ihnen dient. Sei es bloss, dass sie ein Telefonat weniger führen müssen, um Abklärungen zu treffen. Und wenn es zehn oder zwanzig Telefonate weniger sind, welche die Gemeindemitarbeitenden führen müssen, haben sie unter dem Strich bereits Zeit gespart. Dann lohnt sich diese knappe Stunde, die das Erfassen der Bestattungsinformationen vermutlich kosten wird. Zudem können die Bestattungsämter mit besser vorbereiteten Angehörigen beim Trauergespräch rechnen. Aber ich finde, es ist nicht nur wesentlich, was der Gemeindeverwaltung dient.

Was meinst du damit?
Die Gemeinden und ihre Organisationen interessieren sich ja auch dafür, dass die «Kunden», also die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler, einen Nutzen haben. Ich bin überzeugt, dass dieser Bestattungsplaner den Menschen nützt. Auch das kann ein Grund sein für die Gemeinden, an diesem Dienst mitzuarbeiten.Und noch etwas ist mir wichtig: Bei einem Trauerfall stehen die Hinterbliebenen auf abschüssigem Boden. Wer einen nahestehenden Menschen verloren hat, hält sich möglichst wenig auf mit organisatorischen Details. Viele Bestatter nutzen das leider aus und verkaufen den Betroffenen irgendwelche Dienstleistungen, die diese gar nicht brauchen. Wenn man besser informiert ist, ist man auch besser geschützt vor unsinnigen Angeboten. Um besser informiert zu sein, müssen die Informationen aber leicht zugänglich sein.

Was ist dein persönliches Ziel mit dem Bestattungsplaner?
Ich habe verschiedene Ziele. Erstens sehe ich darin ein spannendes Projekt, das es so noch nicht gibt und das einem Bedürfnis entspricht. Natürlich muss ich bei diesem Projekt letztlich auch unternehmerisch denken. Ich glaube daran, dass sich der Bestattungsplaner dereinst kostendeckend betreiben lässt – wenn man die Informationen der Gemeinden nachhaltig, fair und mit einem Bewusstsein für das Thema nutzt. Ich kann mir beispielsweise vorstellen, den Bestattungsplaner mit der Vermittlung von Legaten für Hilfswerke zu ergänzen. Oder mit anderen Dienstleistungen rund um Abdankungen und Grabunterhalt. Die Informationen der Gemeinden als Basis sollen aber immer gratis bleiben. Es geht hier um die bessere Vermittlung von Daten, die zwar den Gemeinden gehören, aber ohnehin öffentlich sind. «Letzte Reise» tut nichts anderes, als den Zugang zu diesen Daten zu vereinfachen. Sie werden auf keinen Fall verkauft. In diesem Bereich ist Vertrauen entscheidend. 

«Bei einem Trauerfall stehen die Hinterbliebenen auf abschüssigem Boden. Viele Bestatter nutzen das leider aus und verkaufen den Betroffenen irgendwelche Dienstleistungen, die diese gar nicht brauchen.»


Gehen wir noch einmal zurück zu deiner eigenen Erfahrung: Was war für dich nach dem Tod deines Vaters die grösste Herausforderung?

Innerhalb der Familie gemeinsame Lösungen zu finden für sich anbahnende Konflikte. Das fand ich das Schwierigste. Auch weil mein Vater hierfür wohl aus Überforderung kaum vorgesorgt hatte. Vieles hätte er vor seinem Tod schon entscheiden können, dann hätte es für unsere Familie gar keinen Anlass für Konflikte mehr gegeben. Aber es ist gut ausgegangen, darüber bin ich froh. Es hat mir dennoch gezeigt: Je mehr man selbst zu Lebzeiten bestimmt, desto besser ist das für die Nachkommen. Dann ist es einfach klar.

Was ist deiner Meinung nach das Wichtigste für eine stimmige Bestattung?
Naja, im Prinzip dasselbe, was das Wichtigste ist für eine stimmige Party. Es braucht vor allem eine dem Anlass entsprechende Stimmung. Also fragt man sich, wie man diese erzeugen könnte. Ich kann nur von dieser einen Bestattung sprechen, die ich organisiert habe. Ich konnte an einem der schönsten Orte der Schweiz am Walensee einen Pavillon mieten und ich engagierte eine Musikerin. Dann braucht es natürlich auch etwas Glück. Mein Halbbruder dachte daran, eine Kiste Blumenblätter zu organisieren, die wir dann in den Bach regnen lassen konnten, in dem wir die Asche unseres Vaters bestatteten. Alle haben mitgedacht und es war ein Konsens, dass wir etwas Stimmungsvolles machen wollten. Das gelang. Und das werde ich nie vergessen. Ich bin darum überzeugt, dass es sich lohnt, sich ein paar Gedanken darüber zu machen, wie ein schöner, ein würdiger Abschied aussehen könnte. Denn davon zehrt man noch sehr lange. Hingegen habe ich auch furchtbare Erinnerungen an kalte Beerdigungen, zum Beispiel an diejenige meiner Grossmutter damals. Das ist schade.

«Ich werde versuchen, nicht allzu viele offene Fragen zu hinterlassen.»


Hast du Vorstellungen und Wünsche für deine eigene Bestattung?

Ich habe dieses Bild im Kopf von der Bestattung meines Vaters. Ich denke, meine Angehörigen können froh sein, wenn meine Bestattung auch einmal so schön wird. Aber eigentlich interessiert einen die eigene Bestattung ja wenig. Auch wenn es mich schon mit einer gewissen Wärme erfüllt, wenn ich mir vorstelle, wie meine Familie meiner gedenkt. Und ich werde sicher versuchen, nicht allzu viele offene Fragen zu hinterlassen.

Wie geht es weiter mit dem Bestattungsplaner und mit «Letzte Reise»?
Ich hoffe, dass möglichst viele Gemeinden mitmachen. Dass sie sich diese Zeit nehmen, die Umfrage zu beantworten. Das würde mich wahnsinnig freuen. Danach wird der Bestattungsplaner veröffentlicht und auch genutzt werden. Ich glaube fest an «Letzte Reise»: Gute Angebote setzen sich im Internet durch. Gleichzeitig gilt es für uns dann natürlich, den Online-Bestattungsplaner zu pflegen und zu begleiten. Später, langfristig gesehen, werden wir dafür sorgen müssen, dass «Letzte Reise» auch Einnahmen generiert. Das aber, wie vorhin erwähnt, nachhaltig und fair.

Die Journalistin Elena Ibello führte dieses Interview im Auftrag der Letzte Reise GmbH. Es gab, ausser der Wahl des Themas, keinerlei Einflussnahme auf die Interviewfragen oder die redaktionelle Bearbeitung des Textes.


Nutzerinnen und Nutzer hinterlassen keine Datenspur

Die Daten, die Nutzerinnen und Nutzer auf der Website von «Letzte Reise» eingeben, wenn sie den Online-Bestattungsplaner brauchen, werden weder aufbewahrt noch verwendet. Die eingegebenen Daten können darum am Ende der Nutzung mit einem Mausklick wieder gelöscht werden. «Das ist mir sehr wichtig. Diese scheinbar simple Funktion kostet mich in der Programmierung relativ viel Geld, das ist effektiv eine kleine Investition. Aber diese Funktion ist wesentlich», sagt Fabian Biasio. Er versichert: «‹Letzte Reise› nutzt und verkauft keine Daten. Das fände ich pietätlos, auch wenn ich weiss, dass man diese Daten mindestens versilbern könnte. Ich finde nicht, dass die Letzte Reise GmbH Geld verdienen soll mit den Daten von Hinterbliebenen.» Wer seine Eingaben nicht direkt löschen, sondern zu einem späteren Zeitpunkt selbst noch einmal verwenden möchte, kann einen Code generieren lassen, mit dem er die Daten jederzeit wieder abrufen kann. Einen Monat nach dem letzten Login werden die Daten automatisch gelöscht. Elena Ibello

© 2019 Letzte Reise GmbH

Diese Webseite befindet sich noch in Entwicklung.
Weitere Inhalte und Funktionen werden laufend ergänzt.