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Letzte Reise



Sterben wie
zu Hause

Ein Hospiz als Lebensziel

Fotografie, Text und Video: Fabian Biasio

Es gibt Leute, die träumen von einem Haus im Grünen, einer Weltumsegelung oder einem eigenen Swimmingpool. Vreni Grether hatte eine andere Vision: Ihr Traum handelte von einem Ort, an dem Menschen sterben können. Es sollte ein schöner Ort sein, ein Ort des Rückzugs, ein würdiger Ausgangsort für die letzte Reise.

Sie betreute in der Geriatrie Patienten in ihre letzten Lebensphase. Sie begleitete auch Menschen aus ihrem Freundes- und Familienkreis in deren vertrauten Umfeld im letzten Abschnitt ihres Lebens. Vreni Grether fiel auf, wie gross die Diskrepanz zwischen diesen zwei Sterbeorten war. «Da sah ich einen Dokumentarfilm über das St. Christopher's Hospice in London und wusste: Ich möchte ein Hospiz eröffnen.» Vreni Grether gründete eine Stiftung und fand Menschen, die sie unterstützten. Dieses Jahr feiert das «Hospiz im Park» in Arlesheim das 20-Jährige Jubiläum.


Besuch im HOSPIZ IM PARK

Die Kamine der beschaulichen Arlesheimer Villen entlassen ihren Rauch in den trüben Novemberhimmel. Es ist bitterkalt unter der grauen Nebeldecke. Ich frage zwei Schüler nach dem Weg zum «Hospiz im Park»: «Hospiz? Nie gehört, ist das ein Hotel?» fragen sie. Ich antworte, dass sei ein Ort, wo Menschen sterben. «Krass», sagen die Jugendlichen und zucken mit den Schultern. «Hier oben gibt es ein Spital, vielleicht meinen Sie das». Eine junge Frau kommt mir entgegen, den Kopf gesenkt, die Augen verweint. Ich bemühe mich, ihr nicht ins Gesicht zu sehen. Der Eingang des «Hospiz im Park» markiert eine riesige Buche, ganz in herbstliches Rot getränkt.

Gegenüber der Villa steht ein Neubau: Das «Lärchenhaus», ein Ambulatorium, das dieses Jahr eröffnet wurde. Hier erhalten Tagespatienten Unterstützung bei Fragen zur Schmerztherapie oder Rat beim Ausfüllen einer Patientenverfügung.

Einen kurzen Augenblick spüre ich sie: Eine leise Beklemmung. Im Entrée steht ein Wäschewagen, bereit zur Abholung. «In diesen Bettlaken sind Menschen gestorben», denke ich unvermittelt. Vreni Grether sagt, der Betrieb des Hauses laufe völlig problemlos. «Nie gab es Klagen, dass der Leichenwagen zu oft durchs Quartier fahre».

Vreni Grether

«Als die Pläne für den Neubau gezeichnet waren, den es für die Badezimmer und die diversen Infrastrukturen benötigte, lud ich die Nachbarschaft ein. Ich fand, die müssen wissen, was hier passiert. Wir offerierten einen Apéro und erklärten alles. Ich versuchte zu erzählen, was Palliative Care bedeutet. Mir wurde sehr viel Verständnis entgegengebracht, aber eine Person sagte: «Wieso müssen sterbende Menschen an einem so schönen Ort sein, gehen Sie doch mit Ihrer Idee in die Industrie.» Da musste ich natürlich schon ein paarmal leer schlucken. Für mich war es von Anfang an ganz wichtig, dass es ein schöner Ort wird. Dass die letzte Lebenszeit in einer schönen Umgebung, in einer Situation, die möglicherweise recht nahe dem eigenen Zuhause entspricht, verbracht werden sollte.

Es passiert schon etwas. Ich habe oft bei verstorbenen Menschen gesehen, nachdem sie ihren letzten letzten Atemzug machten, wenn das Herz aufgehört hat zu schlagen, dass ihre Gesichter sich ganz entspannt haben. Gesichter, die vorher noch angespannt waren, womöglich sogar schmerzverzerrt – und dann wirklich von Stunde zu Stunde entspannter wurden. Was ich auch festgestellt habe bei Verstorbenen, die mir sehr nahe standen, wenn ich mich nach zwei oder drei Tagen noch einmal am Sarg verabschiedet habe: Ich meinte gesehen zu haben, dass sich nun etwas verändert hat. Dass jetzt nur noch eine Hülle zurückbleibt. Und das hat mich sehr berührt. Und es hat mich auch sehr davon überzeugt, dass es gut ist, was nachher ist. Ich glaube, ich möchte mich bewusst verabschieden von allen nahestehenden Menschen. Ich möchte mich bedanken. Ich möchte um Verzeihung bitten können, wenn es nötig ist. Und dann, glaube ich, möchte ich alleine sein.

«Palliative Care ist keine Privatsache»

Dr. med. Heike Gudat ist seit sechzehn Jahren leitende Ärztin im «Hospiz im Park». Daneben lehrt sie Palliative Care an der Universität Basel. «Dass ich nach meinem Medizinstudium auf die Klinik der Inneren Medizin in Luzern wechseln durfte, war wohl schicksalhafter Glücksfall. Nicht nur, dass ich in Luzern meinen Mann getroffen habe. «Se chamme no bruuche», sagte der damalige Chefarzt knapp und gab mir eine Stelle. Unter ihm und seinem Co-Chef-Partner habe ich, in vielen Belangen unwissend, so die Palliative Care gelernt. Sie war nicht weniger und nicht mehr als selbstverständlicher Bestandteil der Inneren Medizin.»

Für Gudat stehen speziell die Angehörigen im Fokus. Sie sagt, es gebe keine Patientenbetreuung ohne Einbezug der Angehörigen. Wer heute spezialisierte Palliative Care an­biete, müsse daher auch klar definierte Kriterien für die Angehörigenbeglei­tung erfüllen: «Das reicht von räumlichen Strukturen wie Gästezimmer mit Übernachtungsangeboten bis zu Prozessabläufen und personellen Ressourcen mit spezifischem Wissen.»

Diese Qualitäten haben ihren Preis: Ein Tag im «Hospiz» kostet pro Bett rund tausend Franken. Das «Hospiz im Park» befindet sich auf der Spitalliste: «Wir nehmen alle Versicherungsklassen – bei allgemein Versicherten beträgt die Finanzierungslücke etwa 100.- Franken pro Tag und Bett. Früher war es bedeutend mehr. Dank der Stiftung zur Förderung des Hospiz können wir die Defizite decken. Wir finden, Palliative Care ist keine Privatsache. Sie soll für alle zugänglich und bezahlbar sein.»

Klinik für Palliative Care

Das HOSPIZ IM PARK in Arlesheim nimmt erwachsene Patientinnen und Patienten aller Versicherungsklassen auf und ist offen für Menschen jeder Nationalität, Religion und Weltanschauung. Das Hospiz ist eine Klinik mit öffentlichem Leistungsauftrag für Palliative Medizin. Es stehen 10 Betten zur Verfügung. Menschen, die an einer fortgeschrittenen, unheilbaren Erkrankung leiden, werden durch ein interdisziplinäres Team behandelt, gepflegt und begleitet.

HOSPIZ IM PARK
Klinik für Palliative Care
Stollenrain 12
4144 Arlesheim

Tel.: 061 706 92 22

info@hospizimpark.ch
www.hospizimpark.ch